Buchreport aus Warschau – Zweiter Streich
Es gibt viele Geschichten darüber, wie Polens Hauptstadt zu ihrem Namen kam. Meine Lieblingsgeschichte handelt von der Nixe Sawa, die von Fischern an Jahrmarkthändler verkauft werden sollte, weil sie zu deren Missfallen Fische aus ihren Fangkörben freiließ. Doch ein junger Mann namens Wars verliebte sich in die schöne Meerjungfrau und befreite sie. Aus den Namen der beiden Verliebten soll „Warszawa“ abgeleitet sein. Das ist vielleicht keine realistische Version, aber in gut erzählten Geschichten spielt die Wahrheit manchmal eine kleinere Rolle.
Wer Geschichten und Bücher liebt, findet sie in Warschau zuhauf: Auf dem Weg zur Uni, unterwegs in den Supermarkt, oder in der Mittagspause in der Stadt stolpere ich immer wieder über die vielen Buchhandlungen. In Ermangelung ausreichender polnischer Sprachkenntnisse ist eine amerikanisch-englische Buchhandlung natürlich ein verlässlicher Versorgungspunkt. Neil Gaiman „The Ocean at the End of the Lane“ und Jeffrey Eugenides „Middlesex“ sind als Schnäppchen durchgegangen und haben mir die Tramfahrten zu meiner Fakultät in Ochota verkürzt.
Auf meiner ersten Buchsafari ist mir bereits der Filialist „matras“ aufgefallen. In Sachen Größe der Buchstapel und Anzahl der Filialen scheint die Kette „empik“ mit 190 Filialen laut Homepage ebenfalls ein Riese auf dem polnischen Buchmarkt zu sein. Sehr interessant finde ich das Konzept der Internetbuchhandlung „Bonito.pl“, deren kleine stationäre Abhol-Filialen platzsparend und unscheinbar in der Innenstadt verteilt sind. Ein Blick auf die Umsatzstatistik lässt die Augen allerdings groß werden: Der Umsatz des polnischen Online-Händlers ist in den letzten beiden Jahren sprunghaft angestiegen.
Zum Glück gibt es daneben auch noch die Romantiker unter den Buchhändlern: Antiquariate, Straßenverkäufe und der kleine Laden um die Ecke – mit Büchern zum Antatschen, Wieder-Weglegen und Dann-doch-Bezahlen-und-Mitnehmen. An einem antiquarischen Bücherstand im Foyer der Uni-Bibliothek hat mir ein leidenschaftlicher Buchhändler einen Gedichtband der polnischen Lyrikerin Halina Poswiatowska verkauft. Ein Ehrgeizprojekt, sobald ich „Die kleine Raupe Nimmersatt“ auf Polnisch endlich gemeistert habe. Als Lyrikfan muss ein literarisches Andenken an mein Auslandssemester unbedingt sein.
Und schaut mal was ich hier gefunden habe: Bei einer WG-Party einer polnischen Freundin sind mir übersetzte Ausgaben von Cornelia Funkes „Herr der Diebe“ auf Polnisch und Katharina Hagenas „Der Geschmack von Apfelkernen“ auf Französisch in die Hände gefallen. Das war mir auf jeden Fall einen heimlichen Schnappschuss wert.
Im Februar geht es wieder zurück nach Deutschland. Das halbe Jahr war gut gefüllt mit neuen Erfahrungen im fremdsprachigen Uni-Alltag, neuen Freunden und Entdeckungen. Jetzt stecke ich mitten in der Prüfungszeit, die in Anforderungen, Terminstress und Gejammer den deutschen Klausurenphasen in nichts nachsteht.
Schön war es auf jeden Fall und Warschau ist meine neue Herzstadt.