Bücher, Netzwelt und Stimmen in meinem Kopf

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LBM15: Die Leipziger Buchmesse in Mitbringseln

Die Leipziger Buchmesse 2015 ist am Sonntag zu Ende gegangen. Von Donnerstag bis Samstag war ich dabei und habe neben schönen Erlebnissen, Entdeckungen und Begegnungen auch einige Mitbringsel nach Hause gebracht.
Mir fällt es schwer, die Messe mit denen, aus den vergangenen Jahren zu vergleichen, weil ich sie immer unterschiedlich erlebe. Mal war ich Fachbesucher, mal Austeller und in diesem Jahr zu allerersten Mal – Blogger.
Doch manche Dinge bleiben in jedem Jahr gleich: Der Koffer, der auf der Heimreise deutlich schwerer ist, als zuvor. Die schmerzenden Füße. Der Spaß, sich beim Auspacken über jedes neue Buch zu freuen. Und die Verwunderung, wie um alles in der Welt sich die ganzen Broschüren, Visitenkarten, Postkarten und Tüten angesammelt haben.

Beim Durchstreifen der Stände in den fünf Messehallen stehen natürlich Bücher und ihre Macher im Vordergrund. Neben Verlagen, die sich mit prall gefüllten Regalen und hübscher Deko präsentieren, stellen die Autoren höchst persönlich ihre Werke in Lesungen und Signierstunden vor. Die Buchmesse ist für mich immer die beste Gelegenheit, Autogramme zu ergattern und ein schüchternes Wörtchen mit den Schriftstellern zu wechseln. Autogramme
Ich konnte mir in diesem Jahr den Thriller „Die Falle“ von Melanie Raabe, „Kaum macht man mal was falsch, ist das auch wieder nicht richtig“  von Kirsten Fuchs signieren lassen und dabei die sympathischen Autorinnen kennenlernen.

Bei rund 90.000 Neuerscheinungen im Jahr ist die Buchmesse auch ein guter Ort, um auf Entdecker-Tour zu gehen und die Wunschliste zu verlängern. Während man „Oh, wie interessant, das habe ich noch gar nicht gesehen“, murmelnd an den Regalen stöbert, wandern im Lauf der Zeit so manche der Leseproben und Verlagsvorschauen zu Recherchezwecken in die Tasche. Fast reflexartig greife ich auch schon nach Magazinen und Zeitschriften, die den Besuchern täglich kostenlos entgegen gestreckt werden. Zum „ZEIT“ Magazin oder zur Wirtschaftszeitschrift „brand eins“ konnte ich diesmal nicht Nein sagen. Am Ende des Tages hat sich ein beachtlicher Haufen Papier angesammelt, der sich beim Auspacken über das ganze Zimmer verteilt.

Papierkram

Die Leipziger Buchmesse hat mich außerdem wieder mit neuen Büchern versorgt. Beim Leser- und Bloggertreffen der Online-Plattform LovelyBooks und beim Bloggertreffen von buchhandel.de gab es großartige Goodiebags für die Teilnehmer mit Büchern und anderen schönen Kleinigkeiten. Der neue Lesestoff lohnt die anstrengende Schlepperei zum Glück bisher immer.

Meine größten Messehighlights sind aber vor allem die Veranstaltungen und Menschen. Beim Bloggertreffen, das die liebe Simone von Papiergeflüster in der neuen Bloggerlounge der Messe organisiert hat, habe ich zum ersten Mal die Gesichter hinter den Accounts kennengelernt und tolle Gespräche geführt. Beim LovelyBooks Usertreffen gab es einen Tag später Gelegenheit, nach der interessanten Podiumsdiskussion daran anzuknüpfen und einige bekannte Gesichter zu entdecken. Neuer Lesestoff
Viel mitgenommen habe ich auch aus dem Vortrag der jungen Verlagsmenschen, die ihre Umfrageergebnisse zur Situation des Branchennachwuchses präsentiert haben. Und auch wenn die Beine am Ende jedes Tages müde waren, hat sich das Durchhalten vor allem am Messe-Freitag gelohnt: Die Verlagsparty „Tanz Atlantik“ vom Atlantik Verlag im Leipziger „Telegraph“ hat mich mit sehr tanzbarer Musik und gemütlicher Location begeistert.

Schön, voll und bunt war die Leipziger Buchmesse 2015. Ein Ort, an dem Fachleute, Familien und schrill kostümierte Convention-Teilnehmer in einer Schlange für Cola und Pommes anstehen und sich vier Tage lang alles nur um eins dreht: Buchmenschen und Literatur. Die Mitbringsel werden ausgepackt und verstaut, die Erlebnisse im Kopf abgespeichert.
Ich möchte mich bei allen Kollegen, Freunden, Bloggern und bei der Leipziger Messe für die schöne Zeit bedanken und freue mich schon auf das nächste Jahr.

Rezension: Meine Woche mit Michel Houellebecq

Der neue Roman des französischen Autors Michel Houellebecq „Unterwerfung“ bekommt derzeit viel Aufmerksamkeit. Ich bin ein großer Fan seiner Gedichte, hatte aber noch „Karte und Gebiet“ auf der Wunschliste. Meine Befürchtung: Wenn ich zuerst die umstrittene Neuerscheinung lese, versaue ich mir einen ungetrübten Blick auf den Rest seiner Romane. Mein Plan: Chronologisch vorgehen, denn sicher ist sicher. Das Ergebnis war ein kleiner Houellebecq-Sprint. In der Tram auf dem Weg zu Uni habe ich innerhalb einer Woche beide Romane durchgelesen und bin sehr zufrieden.

„Karte und Gebiet“ erzählt die Geschichte eines Künstlers in Paris und porträtiert damit nicht nur die Pariser Kunstszene, sondern liefert gleichzeitig einen kleinen Krimi indem der Autor Michel Houellebecq höchstpersönlich das Mordopfer ist. Aber es steckt noch viel mehr in diesem tollen Roman: Jed Martin ist ein schüchterner Eigenbrötler und verdient sich den Ruhm der Kunstwelt mit Ehrgeiz und Fleiß. Während er sich in seiner künstlerischen Arbeit stetig weiterentwickelt, bleibt er in seiner persönlichen Entwicklung allerdings völlig stehen. Theorie und Praxis in zwischenmenschlichen Dingen passen bei dem Protagonisten nicht zusammen. Die Bindung zwischen Eltern und Sohn, die Beziehung zu einer Frau oder Freundschaft unter Männern sind unstete Zwischenspiele. Er verewigt sich durch seine Arbeit im kollektiven Gedächtnis der Menschen, statt Sinn und Erfüllung für sein Leben im konventionellen Muster Frau-Kind-Haus zu suchen, das viel zu fragil und dessen Glück, wenn überhaupt, nur von kurzer Dauer ist.

„Unterwerfung“ ist ein Zukunfts-Szenario und dreht sich anfangs stark um den frustrierten Protagonisten: Einen in die Jahre gekommenen Junggesellen in Paris, der seiner einzigen nennenswerten Beziehung und seiner schwindenen Libido hinterher trauert. Außerhalb der Universität an der er Literaturwissenschaft lehrt, interessiert ihn Politik zunächst kaum. Doch die Wahlen im Jahr 2022 verändern die Gesellschaft von Frankreich grundlegend. Eine islamische Partei schafft es an die Spitze der Regierung und lässt Front National, sowie die identitäre Bewegung hinter sich. Der politische Führer ist ein moderner Muslim, der andere Religionen respektiert und versucht, sich von der Kontrolle der Öl-Staaten loszusagen. Allerdings setzt er mit seiner Partei schrittweise Neuerungen durch, die das Ende des Zeitalter des christlichen Abendlandes einläuten: Der Großteil der Bildungseinrichtungen wird muslimisch geprägt, die Rechte der Frauen eingeschränkt, Polygamie wird legalisiert.
Grusel, grusel. Das ist der Stoff aus dem die Träume von Verschwörungstheoretikern gemacht sind.

Die Unterwerfung

Michel Houellebecq
„Unterwerfung“
Dumont Verlag

Houellebecq beschreibt diese Entwicklung aber sehr natürlich. Der Protagonist wird Zeuge der Entwicklungen und macht dabei seine eigene Entwicklung durch. Er beginnt, sich mit gesellschaftlichen Vorgängen auseinanderzusetzen und sucht nach seinem Platz in der Welt. Dabei beschäftigt er sich auch mit dem Katholizismus, der ihm jedoch nichts mehr bieten kann. Am Ende, ACHTUNG SPOILER, fügt er sich schließlich ein, konvertiert zum Islam und wird Teil der neuen Gesellschaft mit muslimischer Prägung. Und mit ihm hängen die renommiertesten männlichen Akademiker ihr Fähnlein in den Wind.

So richtig begeistert bin ich von Houellebecqs neuestem Roman noch nicht. Der Hang zum jammernden Protagonisten, der die Vergänglichkeit und Sinnlosigkeit des Lebens betrauert, ist besorgniserregend. In beiden Büchern werden die Hauptpersonen von ihrer einzigen Liebe verlassen und können sich für eine neue Beziehung nicht so recht begeistern. Der sexuell frustrierte Akademiker in „Unterwerfung“ wünscht sich doch „nur“ eine Frau, die gut kochen kann und eine Granate im Bett ist. Am Ende lockt die Polygamie mit genug Frauen um alle Bedürfnisse abzudecken – wie praktisch. In „Karte und Gebiet“ wirkt der Mangel an erotischer Leidenschaft allerdings wie eine Stärke, um sich aus gesellschaftlichen Zwängen zu lösen.

Fest steht, dass Michel Houellebecq ein brillanter Erzähler ist. Es fällt schwer, die Romane auf ein einziges Thema festzunageln, wenn der Autor so vieles zur Sprache bringt – und allein das ist ein Genuss. Witz, Beobachtungsgabe und ein scharfer Verstand stehen hinter diesen Büchern, die den Leser an den Rand der Sinnkrise bringen: Es läuft alles auf Verfall, Verlust und Vergessen hinaus und die kurze Zeit, die wir haben, lassen wir uns von Konventionen und schlechter Politik versauen. Wo die Geschichten von Houellebecq aufhören, fängt das Nachdenken an. Über das Leben, über unsere eigene Passivität und über eine Zukunft, die so nicht eintreten muss – über die wir uns dennoch selbst klar werden müssen, wo wir stehen und wie wir miteinander umgehen.